Kürzlich hatte ich die Gelegenheit, an einem Seminar teilzunehmen, das den Titel „Hochsensible Kinder sind Superhelden“ trug. Im Mittelpunkt stand das faszinierende Phänomen der intensiven Wahrnehmung, das viele von uns – man vermutet sogar, etwa 60 % der Bevölkerung – in einem gewissen Maß betrifft. Dabei wurde Hochsensibilität nicht als Schwäche, sondern als besondere Gabe dargestellt, die Kindern einzigartige Perspektiven eröffnet und ihnen in einer oft überreizenden Welt eine Art Superkraft verleiht.
Was bedeutet Hochsensibilität?
Hochsensibilität beschreibt die Fähigkeit, Umweltreize – seien es Geräusche, Gerüche, visuelle Eindrücke oder emotionale Schwingungen – intensiver zu verarbeiten als der Großteil der Menschen. Diese erhöhte Wahrnehmung eröffnet tiefe Einsichten, fördert Kreativität und Empathie. Gleichzeitig kann sie aber auch zu einer Überflutung mit Eindrücken führen, wenn sie nicht gezielt begleitet wird. Dabei werden oft die Begriffe hochsensibel und hochsensitiv synonym verwendet, um Menschen zu beschreiben, die ein feineres Gespür für die Welt besitzen.
Hochsensibilität in Österreich: Diagnose und Unterstützung
In Österreich wird Hochsensibilität bislang nicht als offizielle Diagnose gestellt – es fehlt an einem anerkannten diagnostischen Instrument, um diesen Persönlichkeitsaspekt zu bestätigen. Das bedeutet jedoch nicht, dass hochsensible Menschen ohne Hilfe bleiben. Vielmehr existieren zahlreiche Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und spezialisierte Unterstützungsangebote, die Eltern, Erziehern und den Betroffenen selbst dabei helfen, den Alltag so zu gestalten, dass die besonderen Bedürfnisse berücksichtigt werden.
Abgrenzung: Hochsensibilität versus ADS, ADHS und Autismus
Im Bereich der Wahrnehmung und neurobiologischen Vielfalt tauchen oft Begriffe auf, die zu Verwechslungen führen können:
- Hochsensibel/hochsensitiv:
Diese Begriffe beschreiben ein Persönlichkeitsmerkmal, bei dem Menschen Umweltreize intensiver wahrnehmen. Dies kann zu tiefen emotionalen Reaktionen, kreativen Einsichten und einem ausgeprägten Einfühlungsvermögen führen. Hochsensibilität ist dabei eine normale Variation in der Bevölkerung. - ADS und ADHS:
ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) sind neurologische Entwicklungsstörungen. Bei ADS steht die Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, im Vordergrund, während ADHS zusätzlich durch impulsives Verhalten und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Obwohl manche hochsensible Kinder in lauten und unstrukturierten Umgebungen überfordert wirken können, liegt hier eine ganz andere Ursache vor, die meist eine gezielte Diagnostik und spezifische Fördermaßnahmen erfordert. - Autismus (oft auch als Authismus bezeichnet):
Autismus ist ein breites Spektrum neurobiologischer Entwicklungsstörungen, das vor allem durch Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion, Kommunikation und durch wiederkehrende Verhaltensmuster charakterisiert ist. Zwar können hochsensible Kinder in bestimmten Situationen ähnlich auf Reize reagieren, doch handelt es sich beim Autismus um eine tiefgreifendere, diagnostizierte Störung, die spezielle pädagogische und therapeutische Ansätze benötigt.
Es kommt häufig zu Verwechslungen, da einige Symptome – wie sensorische Überreizung oder Schwierigkeiten in sozialen Situationen – bei hochsensiblen Kindern, aber auch bei Kindern mit ADS, ADHS oder Autismus auftreten können. Die Ursachen und die Gesamtheit der Symptome sind jedoch unterschiedlich, weshalb eine differenzierte Betrachtung und individuelle Förderung entscheidend ist.
Hochsensibilität im Kindergarten: Beobachtungen und Fallbeispiele
Der Kindergartenalltag bietet einen idealen Rahmen, um die facettenreichen Ausprägungen von Hochsensibilität bei Kindern zu beobachten. Hier zeigen sich nicht nur die besonderen Bedürfnisse, sondern auch die beeindruckenden Fähigkeiten hochsensibler Kinder.
Beispiel 1: Lena
Lena, eine 5-jährige Künstlerin im Kindergarten, reagiert sehr empfindlich auf laute Geräusche und hektische Spielsituationen. Während in der Gruppe oft der Trubel vorherrscht, zieht sich Lena in eine ruhige Ecke zurück, um in aller Stille ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Dort entstehen wunderbare Zeichnungen und kleine Geschichten, die sie später mit ihren Freunden teilt. Lena zeigt, wie Hochsensibilität als Quelle der Kreativität genutzt werden kann, wenn man ihr den Raum und die Ruhe bietet, die sie benötigt.
Beispiel 2: Paul
Paul, 4 Jahre alt, besitzt ein außergewöhnlich feines Gespür für die Gefühle seiner Spielkameraden. In Konfliktsituationen ist er oft der erste, der die emotionalen Spannungen bemerkt und versucht, durch kleine Gesten der Zuwendung und Vermittlung die Gruppe zu beruhigen. Obwohl Paul manchmal selbst von den intensiven Emotionen überwältigt wird, zeigt er, wie wertvoll diese empathische Gabe im sozialen Miteinander sein kann.
Schlussgedanken
Die Erkenntnisse aus dem Seminar haben mir eindrucksvoll gezeigt, wie facettenreich und wertvoll Hochsensibilität ist – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Die Annahme, dass etwa 60 % der Bevölkerung hochsensibel sein könnten, lädt uns ein, unsere eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und zu erkennen, dass wir alle in unterschiedlichem Maße mit intensiven Empfindungen umgehen. Im Vergleich zu anderen neurologischen Besonderheiten wie ADS, ADHS oder Autismus steht Hochsensibilität als ein normales Persönlichkeitsmerkmal, das – richtig begleitet – zu einer echten Superkraft werden kann.
Besonders im Kindergarten wird deutlich, wie wichtig es ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem hochsensible Kinder sich wohlfühlen und ihre besonderen Stärken entfalten können. Auch wenn in Österreich bislang keine offizielle Diagnose gestellt wird, gibt es zahlreiche Unterstützungsangebote, die helfen, den Alltag achtsam und individuell zu gestalten.
Ich freue mich darauf, von euren Erfahrungen zu hören – teilt gerne eure Gedanken und Erlebnisse in den Kommentaren!